
Unser Forschungsprozess setzt sich also aus einzelnen Schritten zusammen. Die genaue Vorgehensweise ist abhängig von der Fragestellung und der Art der Quellen. Materialquellen – also beispielsweise Gemälde – untersucht man mit anderen Methoden als Schriftquellen oder Bildquellen.
Die schriftlichen Quellen werden historisch-kritisch ausgewertet. Das bedeutet, dass man sich beispielsweise beim Lesen immer fragt, wer der oder die Autor*in war und mit welchem Ziel und in welchem Zusammenhang die Informationen von ihm oder ihr aufgezeichnet wurden. So kann man besser einschätzen, was sie zur Beantwortung der Forschungsfrage wirklich beitragen können.
Aber auch Materialquellen wie Gemälde enthalten sehr viele wichtige Informationen über Baumeisters Maltechnik. Um sie zu entschlüsseln, verwenden wir unterschiedliche Methoden: Durch genaues Beobachten kann man herausfinden, wie er seine Materialien verarbeitet hat und welche Eigenschaften sie vermutlich hatten, als er sie frisch aufgetragen hat. Alle ausgewählten Gemälde werden deshalb zunächst mit bloßem Auge und mit einem Stereomikroskop untersucht und fotografiert.

Willi Baumeister: Verworfenes Gemälde, ca. 1931,
42 x 28,55 cm,
Willi Baumeister Stiftung Inv. Nr. V_005.
Foto: Roland Lenz
Mithilfe des Mikroskops können erste, wichtige Erkenntnisse zum materiellen Aufbau und zur Schichtenabfolge gewonnen werden. Auch Beobachtungen zum Zustand – ob es Schäden oder auffällige Veränderungen gibt – werden notiert.

Durch Vergrößerung mit einem Mikroskop kann man den Schichtenaufbau eines Gemäldes viel besser erkennen als mit dem bloßen Auge.
Foto: Elia Schmid
Die matte Oberfläche einer schwarzen Farbe zeigt in der Vergrößerung beispielsweise Spuren eines Auftrags mit einem sehr feinen Pinsel.

Mikroskopaufnahme aus einer schwarzen Farbe im sichtbaren Licht.
Foto: Ulrike Palm
Bereits im sichtbaren Licht kann man auf diese Weise Vieles erkennen. Manches ist aber nicht sichtbar. Dies gilt zum Beispiel für dünne und durchsichtige Überzüge auf der Bildoberfläche oder für Zeichnungen, die später mit Farbe überdeckt wurden. Mit verschiedenen Strahlenuntersuchungen können wir solche unsichtbaren oder verdeckten Schichten sichtbar machen, ohne das Gemälde auch nur zu berühren. Dabei helfen uns die verschiedenen Wellenlängen des Lichtes außerhalb des sichtbaren Bereichs, wie ultraviolette oder infrarote Strahlen.
Einordnung des sichtbaren Lichts in das elektromagnetische Spektrum. Das für Menschen sichtbare Licht umfasst nur einen sehr schmalen Wellenlängenbereich.
© FWU Institut für Film und Bild (CC-BY-NC 4.0).
Online abrufbar und unverändert übernommen: https://www.leifphysik.de/optik/elektromagnetisches-spektrum/grundwissen/sichtbares-Licht
Nutzt man für die Untersuchung nicht nur das sichtbare Licht, sondern auch weitere angrenzende Wellenlängenbereiche wie ultraviolette Strahlen (UV) oder Infrarotstrahlen (IR), geben die Gemälde weitere Informationen preis.
Unter UV-Bestrahlung entwickeln einige Materialien in Überzügen oder Lacken, die sonst auf den ersten Blick kaum oder nicht sichtbar sind, eine ausgeprägte Fluoreszenz und werden so besser sichtbar.
Im sichtbaren Licht erscheint die Oberfläche der schwarzen Farbe sehr matt, ein Überzug ist nicht erkennbar. Unter UV-Bestrahlung wird jedoch eine hellblau fluoreszierende Schicht auf der schwarzen Farbe sichtbar, die zuvor im sichtbaren Licht nicht erkennbar war.

Detail aus Fragment V_005 im sichtbaren Licht unter dem Stereomikroskop.
Foto: Ulrike Palm

Dasselbe Detail unter UV:
Auf der schwarzen Farbe wird eine hellblau fluoreszierende Schicht sichtbar.
Foto: Ulrike Palm
Im Fall von Baumeister sehen wir in vielen Fällen solche dünnen, hellblau fluoreszierenden Schichten auf der Oberfläche, deren genaue Zusammensetzung aber erst durch weitere Untersuchungen geklärt werden muss.
Infrarotstrahlen dringen hingegen in die Bildoberfläche ein und können so tieferliegende Malschichten oder Zeichnungen sichtbar machen, die mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar sind, weil sie später verdeckt wurden. Diese Methode wird Infrarot-Reflektographie genannt, weil mithilfe einer besonderen Kamera die reflektierten Infrarotstrahlen aufgezeichnet werden und ein schwarz-weißes Bild ergeben.

Detail im sichtbaren Licht aus Willi Baumeister:
Verworfenes Gemälde, ca. 1931,
42 x 28,55 cm,
Willi Baumeister Stiftung Inv. Nr. V_005.
Mit bloßem Auge sind in den Randbereichen der Malerei nur an wenigen Stellen Bleistiftlinien erkennbar.
Foto: Roland Lenz.

In der Infrarot-Reflektographie werden zusätzliche Zeichenlinien erkennbar, die unter den Malschichten verborgen sind.
Foto: Roland Lenz
Alle Beobachtungen werden schriftlich und fotografisch genau dokumentiert und bilden eine wichtige Grundlage für die folgenden Materialanalysen: Auch wenn man noch nicht weiß, um welche Materialien es sich genau handelt, bekommt man bereits einen Überblick über den Schichtenaufbau und die flächige Verteilung von verschiedenen Materialien in der Bildfläche. Dies ist wichtig, um geeignete – das heißt möglichst repräsentative – Stellen für die folgende Probenentnahme und die Materialanalysen auszuwählen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass man die Analyseergebnisse am Ende auch gut interpretieren kann.
Unsere zentrale Forschungsfrage, wie sich die Materialität von Baumeisters Gemälden zwischen 1930 und 1955 tatsächlich verändert hat, kann man aber nur beantworten, wenn man die Materialien in den Gemälden analysiert, also ihre chemische Zusammensetzung untersucht.
Malmaterialien bestehen aus zwei Grundbestandteilen: den farbgebenden Pigmenten und den Bindemitteln, die diese zusammenhalten und auf der Unterlage festhalten. Je nachdem, ob man die Farbmittel oder die Bindemittel analysieren möchte, kommen dafür unterschiedliche Methoden zum Einsatz. Einige sind berührungsfrei, andere sind mikro-invasiv, das heißt sie greifen durch Probenentnahmen in die Substanz der Gemälde ein.
Die berührungsfreien Techniken nutzen verschiedene Wellenlängenbereiche des elektromagnetischen Spektrums, um Materialien zerstörungsfrei zu identifizieren. Die Ausstattung des insiTUMlab ermöglicht den Einsatz punktueller Verfahren (Infrarotspektroskopie, in-situ Raman-Spektroskopie) sowie bildgebender Methoden (Makro-Röntgenfluoreszenzanalyse, Hyperspektrale Bildgebung), mit denen sowohl die chemische Zusammensetzung als auch die räumliche Verteilung der Materialien erfasst werden können.
Bei der Hyperspektralen Bildgebung und auch bei der Röntgenfluoreszenz-Analyse lassen sich die Ergebnisse auch in Form eines detaillierten, flächigen Bildes darstellen (Mapping). Auch mithilfe von in-situ Raman- und Infrarotmessungen in Reflexion lassen sich zahlreiche Messpunkte direkt auf der Oberfläche erfassen und so Materialverteilungen punktuell und flächig kartieren. Diese Methoden geben also wertvolle Einblicke in die Verteilung der verwendeten Farbmittel und Bindemittel auf der gesamten Bildfläche.
Bei der Infrarotspektroskopie (IR-Spektroskopie) wird das Material mit Infrarotstrahlung bestrahlt. Bestimmte Molekülgruppen beginnen dabei, charakteristisch zu schwingen. Diese Schwingungen werden als Spektrum aufgezeichnet und dienen als „chemischer Fingerabdruck“, mit dem sich Materialien eindeutig identifizieren lassen. Der Vergleich mit Referenzspektren bekannter Substanzen ermöglicht die Zuordnung unbekannter Materialien.

Solche Vergleichsspektren findet man in Referenz-Datenbanken. Die Auswertung der Messungen und der Vergleich mit Referenzspektren ist aufwändig
Foto: Elia Schmid
Die Methode erlaubt die Identifizierung von anorganischen und organischen Verbindungen. Die Infrarotspektroskopie kann sowohl an entnommenen Proben als auch berührungsfrei direkt auf der Oberfläche eines Kunstwerks angewendet werden (Reflexions-IR).
Die Raman-Spektroskopie basiert auf der Wechselwirkung von Lasern (monochromatischem Licht) mit Materie. Trifft Laserlicht auf ein Material, wird ein kleiner Teil der Strahlung in charakteristischer Weise gestreut. Das dabei entstehende Raman-Spektrum liefert Informationen über die molekulare Struktur des Materials. Die Methode eignet sich besonders gut zum Nachweis sowohl anorganischer als auch organischer Substanzen, darunter Pigmente, Farbstoffe und Bindemittel. Wie die Infrarotspektroskopie kann auch die Raman-Spektroskopie berührungsfrei durchgeführt werden.
Die Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) arbeitet mit energiereichen Röntgenstrahlen, die beim Auftreffen auf ein Material Elektronen aus den inneren Schalen der Atome herausschlagen. Beim Zurückspringen anderer Elektronen entsteht eine charakteristische Fluoreszenzstrahlung, die für jedes chemische Element einzigartig ist. Auf diese Weise lassen sich insbesondere anorganische Pigmente und Füllstoffe identifizieren.
Wird die Messung nicht nur punktuell, sondern flächig durchgeführt, spricht man von Makro-Röntgenfluoreszenzanalyse (MA-XRF). Dabei werden viele Einzelmessungen zu einem Gesamtbild (Mapping) zusammengesetzt, das zeigt, wo bestimmte Elemente und damit Materialien auf der Oberfläche vorkommen.
Die Hyperspektrale Bildgebung (engl. Hyperspectral Imaging, HSI) nutzt spezielle Kameras, die für jeden einzelnen Bildpunkt (Pixel) ein Reflexionsspektrum über einen breiten Wellenlängenbereich aufzeichnen. Die beiden Sensoren des insiTUMlab-Systems decken dabei einen Bereich von 400 bis 2500 nm ab. Diese Daten können genutzt werden, um Materialien zu unterscheiden und ihre Verteilung sichtbar zu machen (Mapping).

Mithilfe von zwei Kameras, die zusammen einen sehr breiten Wellenlängenbereich des elektromagnetischen Spektrums erfassen, untersucht Simon Mindermann Fragmente von Willi Baumeister.
Foto: Elia Schmid
Während HSI im Bereich des sichtbaren und nahen Infrarots (VNIR, 400–1000 nm) bereits erfolgreich zur Identifizierung von Pigmenten und Farbstoffen eingesetzt wird, ist die Untersuchung von Bindemitteln im kurzwelligen Infrarotbereich (SWIR, 1000–2500 nm) zwar möglich, jedoch bislang nur in wenigen Kulturerbe-Studien erprobt.
Im Rahmen ihrer Masterarbeit untersuchte Katja Lorenz, inwiefern HSI zur Unterscheidung und Identifizierung typischer Bindemittel auf den Gemälden von Willi Baumeister geeignet ist, und analysierte die Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode für die Kunsttechnologie.
(Ergebnisse von Katja Lorenz)

Die von den Kameras gesammelten Daten werden am Computer visualisiert und ausgewertet.
Foto: Katja Lorenz
Die zerstörungsfreien Analysemethoden haben den großen Vorteil, dass sie einen ersten, umfassenden Überblick über die Verteilung der Materialien auf der Bildfläche ermöglichen, ohne dass dafür Proben entnommen werden müssen.
Sie zeigen jedoch vor allem die Materialverteilung an der Oberfläche. Im Normalfall liegen an einer Messstelle aber mehrere Schichten mit unterschiedlichen Materialien übereinander. Wenn die Strahlung in diese tieferen Schichten eindringt, können sich die Signale der verschiedenen Schichten überlagern. Dann ist nicht klar, in welcher Schicht sich welches Material tatsächlich befindet.
Mit Hilfe der zerstörungsfreien Analysemethoden ist eine erste Klassifizierung der vorhandenen Materialien in Materialgruppen wie beispielsweise Proteine möglich. Eine genauere Identifikation – also um welches Öl, Harz oder Protein es sich genau handelt – erfordert aber in der Regel weitere, laborbasierte und mikro-invasive Analysen. Außerdem können vor allem die Hauptbestandteile in einer Schicht nachgewiesen werden. Nebenbestandteile, die in geringerer Menge vorkommen, können leicht übersehen werden oder sind manchmal auch nicht nachweisbar, weil sie unterhalb der Nachweisgrenze liegen können.
Es bleiben also jeweils noch einige Fragen zum Schichtaufbau und zur genauen Materialzusammensetzung offen, die mit weiteren, mikro-invasiven Analysemethoden geklärt werden müssen. Die zerstörungsfreien Messungen liefern aber einen ersten, sehr wichtigen Überblick über die Materialität der Werke und ermöglichen auf diese Weise eine gezielte Auswahl geeigneter Probenentnahmestellen für weitere Untersuchungen. Im Labor können diese Proben anschließend mit hochauflösenden Verfahren detailliert untersucht werden.
Die Entnahme von Materialproben gehört zwar zu unserem Forschungsprozess und dient dem Erkenntnisgewinn, aber an originalen Gemälden fällt die Entscheidung trotzdem oft schwer, denn sie ist immer mit einer – wenn auch sehr kleinen – Zerstörung des Originals verbunden.
Da ist es gut für uns, dass Baumeister viele Gemälde zwar verworfen, aber nicht zerstört hat. An diesen verworfenen Gemälden können wir viel über die Materialität seiner Kunstwerke lernen, ohne die Originale selbst beproben zu müssen.
Bei der Probenentnahme unterscheiden wir zwei Arten von Proben: Pulverproben, die durch Abschaben mit einem feinen Skalpell entnommen werden, und Proben des gesamten Schichtenpakets, die anschließend in einen aushärtenden Kunststoff eingebettet werden, und die damit einen Querschnitt durch alle Schichten des Gemäldes abbilden (sog. Querschliffe). Die Orte der Probenentnahme an den Gemälden werden ganz genau ausgemessen und fotografisch dokumentiert. Die notwendige Probenmenge orientiert sich an der sogenannten Nachweisgrenze der anschließenden Analyse-Techniken: Jede Technik braucht eine Mindestmenge an Material, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen. Die verwendeten Techniken sind sehr sensitiv, d.h. wir brauchen nur ganz kleine Mengen an Proben. In den beiden Mikroskopaufnahmen kann man gut erkennen, wie klein die Probenentnahmestellen sind.

Mikroskopaufnahme vor der Probenentnahme.
Foto: Ulrike Palm

Mikroskopaufnahme nach der Probenentnahme.
Foto: Ulrike Palm
Probenentnahmestelle in der schwarzen Malschicht des verworfenen Gemäldes V_005. Oben: vor der Entnahme, unten: nach der Probenentnahme. Der weiße Rahmen markiert die Stelle der Schabeprobe, die weniger als einen halben Millimeter im Quadrat misst. Sie ist mit dem bloßen Auge kaum erkennbar.
Ein besonderer Fokus des Projektes liegt auf der genauen Identifikation der Bindemittel, die Baumeister in seinen Gemälden verwendet hat. Für die Bestimmung der Bindemittel werden die Pulverproben mittels Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie (Pyrolyse GC/MS) untersucht. Die dafür entnommenen Proben sind so klein, dass man sie nur unter dem Mikroskop erkennen und für die folgenden Analysen vorbereiten kann.

Die Proben kommen zwischen zwei Glas-Objektträgern im Labor an.
Foto: Elia Schmid

Die Proben werden vor der Analyse unter dem Mikroskop kontrolliert.
Foto: Elia Schmid
Bei dieser Analysetechnik wird die Probe zunächst erhitzt, um sie zu zersetzen und in flüchtige Abbauprodukte zu überführen (Pyrolyse). Die einzelnen Bestandteile werden dann mithilfe der Gaschromatographie (GC) aufgetrennt und anschließend mit einem Massenspektrometer (MS) identifiziert.

Foto: Elia Schmid
Nur wenige Labore in Deutschland sind auf die Analyse von gealterten Gemäldeproben mithilfe von GC-MS spezialisiert. Hierfür braucht es jahrelange Erfahrung und viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den winzigen Proben.

Foto: Elia Schmid
Die Proben werden unter dem Mikroskop zunächst in wenige Millimeter große Probenbehälter aus Metall gefüllt. Mit einer Feinwaage wird überprüft, ob bei der Entnahme die minimal notwendige Probenmenge für die Analyse erreicht wurde.

Foto: Elia Schmid
Dann werden sie in die Probenkammern des Gaschromatographen eingesetzt.

Die Interpretation der Ergebnisse und der Vergleich mit Referenzmaterialien ist auch bei dieser Analysemethode sehr zeitaufwändig.
Foto: Elia Schmid
Nach Abschluss der Analyse erhält man ein Chromatogramm, das man mit Referenzspektren bekannter Materialien vergleichen kann. Die einzelnen Peaks sind charakteristisch für unterschiedliche Stoffe. Auf diese Weise kann man die einzelnen Stoffe in der Probe bestimmen. Für eine gute Interpretation braucht man viel Erfahrung und eine sehr gute Referenzdatenbank, in der auch gealterte Proben erfasst sind.
Die besondere Herausforderung in unserem Forschungsbereich ist, dass wir es dabei mit gealterten Materialien zu tun haben: Referenzspektren frischer Proben sind nicht unbedingt vergleichbar. Alternativ kann man auch selbst gealterte Proben mit bekannter Zusammensetzung messen. Solche findet man beispielsweise in historischen Materialsammlungen.

Chromatogramm einer Probe von Willi Baumeister
© Doerner Institut und Deutsches Museum, München.
In dem Chromatogramm einer Probe von Willi Baumeister wurden die einzelnen Peaks bei der Auswertung unterschiedlichen Stoffen zugeordnet: Ein synthetisches Harz (Cyclohexanon) ist ebenso enthalten wie mehrere Fettsäuren (FC16, FC18) aus Ölen und viele verschiedene, historische Weichmacher (Phthalsäureanhydrid, DEP, DIBP, DBP, BBP, DEHP).
Auch an den Querschliffen werden weitere Untersuchungen durchgeführt: Zum einen kann man sie unter dem Lichtmikroskop sowohl im sichtbaren Licht als auch unter UV-Bestrahlung untersuchen und so verschiedene Schichten – sowohl durchsichtige als auch pigmentierte – sichtbar machen. Auf diese Weise können die stereomikroskopischen Beobachtungen des Schichtenaufbaus oftmals noch einmal präzisiert und ergänzt werden.
In dieser Probe aus einer roten Farbschicht eines verworfenen Gemäldes kann man unter dem Lichtmikroskop den Schichtenaufbau erkennen: auf einer hellen Schicht – der Grundierung – liegt hier eine rote Farbschicht. Unter UV-Bestrahlung wird auf der roten Farbschicht noch eine weitere, sehr dünne, hellblau fluoreszierende Schicht auf der Oberfläche sichtbar, die im sichtbaren Licht unsichtbar war.
Der Maßstab verdeutlicht auch noch einmal, wie klein die Probe ist: 100 Mikrometer entsprechen 0,1 mm.

Ein Querschliff aus einem verworfenen Gemälde bei Betrachtung im sichtbaren Licht unter dem Lichtmikroskop.
Foto: Stephanie Dietz

Derselbe Querschliff unter dem Lichtmikroskop unter UV-Bestrahlung.
Foto: Stephanie Dietz
An den Querschliffen lassen sich mithilfe weiterer Analysemethoden sowohl die Farbmittel (Pigmente, Farbstoffe) als auch die Bindemittel in den einzelnen Schichten bestimmen. Für die Bestimmung der anorganischen Farbmittel verwendet man Rasterelektronenmikroskopie mit Energiedispersiver Röntgenspektroskopie (REM-EDX), für die der organischen Farbmittel ein RAMAN-Spektrometer. Die Verteilung der Bindemittel im Schichtengefüge lässt sich mithilfe der Fourier-Transform-Infrarotspektroskopie mit Focal Plane Array Detektor (FPA FT-IR Imaging) untersuchen.
Jede der hier beschriebenen, berührungsfreien und mikro-invasiven Techniken hat ihre eigenen Stärken und Schwächen. Erst in der Kombination ergeben sie ein möglichst vollständiges Bild der tatsächlichen Materialität eines Werkes. Ziel ist es, durch ihre kluge Kombination genaue und umfangreiche Informationen zu bekommen, und dabei aber gleichzeitig möglichst wenige und kleine Proben zu entnehmen.
Auf diese Weise lernen wir Schritt für Schritt mehr über die Materialien, die Baumeister zwischen 1930 und 1955 verwendet hat: Das Bild vervollständigt sich. Die Untersuchungen der Gemälde sind dabei wichtige Puzzlestücke, ebenso wie die Angaben in Briefen oder Rechnungen für Malmaterialien. Am Ende müssen alle Ergebnisse im Vergleich zusammengeführt und im Forschungsteam diskutiert werden.
Oft stellt sich dann aber die Frage, aus welchen Produkten die Materialien genau stammen, die in den Gemälden analytisch nachgewiesen werden: Waren bestimmte Stoffe wie synthetische Harze Bestandteil von Künstlerfarben oder von industriellen Lacken, die Kurt Herberts zur Verfügung gestellt hat? Um dies zu klären, liefern vergleichende Untersuchungen von historischen Tubenfarben, Firnisflaschen o.ä. aus dem Künstlernachlass wichtige Anhaltspunkte. Auch Quellenrecherchen in Archiven von Künstlerfarbenherstellern können Aufschluss über die Zusammensetzung einzelner Produkte geben, die Baumeister kaufte. Dies ist Inhalt der Masterarbeit von Saskia Link (Ergebnisse).
Um zu beurteilen, ob Baumeisters maltechnische Experimente außergewöhnlich waren oder eine zeittypische Erscheinung, die auch andere deutsche Künstler in der Zeit betraf, müssen noch weitere Quellen ausgewertet werden. Dazu gehört neben der aktuellen Fachliteratur auch die zeitgenössische maltechnische Ratgeberliteratur, wie die einflussreichen und vielgelesenen Bücher von Max Doerner oder Kurt Wehlte, oder historische maltechnische Fachzeitschriften.
Am Ende sind viele Fragen geklärt – und gleichzeitig ergeben sich stets viele neue Fragen, denen man weiter nachgehen kann.
Unser Forschungsprozess setzt sich also aus einzelnen Schritten zusammen. Die genaue Vorgehensweise ist abhängig von der Fragestellung und der Art der Quellen. Materialquellen – also beispielsweise Gemälde – untersucht man mit anderen Methoden als Schriftquellen oder Bildquellen.
Die schriftlichen Quellen werden historisch-kritisch ausgewertet. Das bedeutet, dass man sich beispielsweise beim Lesen immer fragt, wer der oder die Autor*in war und mit welchem Ziel und in welchem Zusammenhang die Informationen von ihm oder ihr aufgezeichnet wurden. So kann man besser einschätzen, was sie zur Beantwortung der Forschungsfrage wirklich beitragen können.
Aber auch Materialquellen wie Gemälde enthalten sehr viele wichtige Informationen über Baumeisters Maltechnik. Um sie zu entschlüsseln, verwenden wir unterschiedliche Methoden: Durch genaues Beobachten kann man herausfinden, wie er seine Materialien verarbeitet hat und welche Eigenschaften sie vermutlich hatten, als er sie frisch aufgetragen hat. Alle ausgewählten Gemälde werden deshalb zunächst mit bloßem Auge und mit einem Stereomikroskop untersucht und fotografiert.

Willi Baumeister: Verworfenes Gemälde, ca. 1931,
42 x 28,55 cm,
Willi Baumeister Stiftung Inv. Nr. V_005.
Foto: Roland Lenz
Mithilfe des Mikroskops können erste, wichtige Erkenntnisse zum materiellen Aufbau und zur Schichtenabfolge gewonnen werden. Auch Beobachtungen zum Zustand – ob es Schäden oder auffällige Veränderungen gibt – werden notiert.

Durch Vergrößerung mit einem Mikroskop kann man den Schichtenaufbau eines Gemäldes viel besser erkennen als mit dem bloßen Auge.
Foto: Elia Schmid
Die matte Oberfläche einer schwarzen Farbe zeigt in der Vergrößerung beispielsweise Spuren eines Auftrags mit einem sehr feinen Pinsel.

Mikroskopaufnahme aus einer schwarzen Farbe im sichtbaren Licht.
Foto: Ulrike Palm
Bereits im sichtbaren Licht kann man auf diese Weise Vieles erkennen. Manches ist aber nicht sichtbar. Dies gilt zum Beispiel für dünne und durchsichtige Überzüge auf der Bildoberfläche oder für Zeichnungen, die später mit Farbe überdeckt wurden. Mit verschiedenen Strahlenuntersuchungen können wir solche unsichtbaren oder verdeckten Schichten sichtbar machen, ohne das Gemälde auch nur zu berühren. Dabei helfen uns die verschiedenen Wellenlängen des Lichtes außerhalb des sichtbaren Bereichs, wie ultraviolette oder infrarote Strahlen.
Einordnung des sichtbaren Lichts in das elektromagnetische Spektrum. Das für Menschen sichtbare Licht umfasst nur einen sehr schmalen Wellenlängenbereich.
© FWU Institut für Film und Bild (CC-BY-NC 4.0).
Online abrufbar und unverändert übernommen: https://www.leifphysik.de/optik/elektromagnetisches-spektrum/grundwissen/sichtbares-Licht
Nutzt man für die Untersuchung nicht nur das sichtbare Licht, sondern auch weitere angrenzende Wellenlängenbereiche wie ultraviolette Strahlen (UV) oder Infrarotstrahlen (IR), geben die Gemälde weitere Informationen preis.
Unter UV-Bestrahlung entwickeln einige Materialien in Überzügen oder Lacken, die sonst auf den ersten Blick kaum oder nicht sichtbar sind, eine ausgeprägte Fluoreszenz und werden so besser sichtbar.
Im sichtbaren Licht erscheint die Oberfläche der schwarzen Farbe sehr matt, ein Überzug ist nicht erkennbar. Unter UV-Bestrahlung wird jedoch eine hellblau fluoreszierende Schicht auf der schwarzen Farbe sichtbar, die zuvor im sichtbaren Licht nicht erkennbar war.

Detail aus Fragment V_005 im sichtbaren Licht unter dem Stereomikroskop.
Foto: Ulrike Palm

Dasselbe Detail unter UV:
Auf der schwarzen Farbe wird eine hellblau fluoreszierende Schicht sichtbar.
Foto: Ulrike Palm
Im Fall von Baumeister sehen wir in vielen Fällen solche dünnen, hellblau fluoreszierenden Schichten auf der Oberfläche, deren genaue Zusammensetzung aber erst durch weitere Untersuchungen geklärt werden muss.
Infrarotstrahlen dringen hingegen in die Bildoberfläche ein und können so tieferliegende Malschichten oder Zeichnungen sichtbar machen, die mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar sind, weil sie später verdeckt wurden. Diese Methode wird Infrarot-Reflektographie genannt, weil mithilfe einer besonderen Kamera die reflektierten Infrarotstrahlen aufgezeichnet werden und ein schwarz-weißes Bild ergeben.

Detail im sichtbaren Licht aus Willi Baumeister:
Verworfenes Gemälde, ca. 1931,
42 x 28,55 cm,
Willi Baumeister Stiftung Inv. Nr. V_005.
Mit bloßem Auge sind in den Randbereichen der Malerei nur an wenigen Stellen Bleistiftlinien erkennbar.
Foto: Roland Lenz.

In der Infrarot-Reflektographie werden zusätzliche Zeichenlinien erkennbar, die unter den Malschichten verborgen sind.
Foto: Roland Lenz
Alle Beobachtungen werden schriftlich und fotografisch genau dokumentiert und bilden eine wichtige Grundlage für die folgenden Materialanalysen: Auch wenn man noch nicht weiß, um welche Materialien es sich genau handelt, bekommt man bereits einen Überblick über den Schichtenaufbau und die flächige Verteilung von verschiedenen Materialien in der Bildfläche. Dies ist wichtig, um geeignete – das heißt möglichst repräsentative – Stellen für die folgende Probenentnahme und die Materialanalysen auszuwählen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass man die Analyseergebnisse am Ende auch gut interpretieren kann.
Unsere zentrale Forschungsfrage, wie sich die Materialität von Baumeisters Gemälden zwischen 1930 und 1955 tatsächlich verändert hat, kann man aber nur beantworten, wenn man die Materialien in den Gemälden analysiert, also ihre chemische Zusammensetzung untersucht.
Malmaterialien bestehen aus zwei Grundbestandteilen: den farbgebenden Pigmenten und den Bindemitteln, die diese zusammenhalten und auf der Unterlage festhalten. Je nachdem, ob man die Farbmittel oder die Bindemittel analysieren möchte, kommen dafür unterschiedliche Methoden zum Einsatz. Einige sind berührungsfrei, andere sind mikro-invasiv, das heißt sie greifen durch Probenentnahmen in die Substanz der Gemälde ein.
Die berührungsfreien Techniken nutzen verschiedene Wellenlängenbereiche des elektromagnetischen Spektrums, um Materialien zerstörungsfrei zu identifizieren. Die Ausstattung des insiTUMlab ermöglichte den Einsatz punktueller Verfahren (Infrarotspektroskopie, in-situ Raman-Spektroskopie) sowie bildgebender Methoden (Makro-Röntgenfluoreszenzanalyse, Hyperspektrale Bildgebung), mit denen sowohl die chemische Zusammensetzung als auch die räumliche Verteilung der Materialien erfasst werden konnten.
Bei der Hyperspektralen Bildgebung und auch bei der Röntgenfluoreszenz-Analyse lassen sich die Ergebnisse auch in Form eines detaillierten, flächigen Bildes darstellen (Mapping). Auch mithilfe von in-situ Raman- und Infrarotmessungen in Reflexion lassen sich zahlreiche Messpunkte direkt auf der Oberfläche erfassen und so Materialverteilungen punktuell und flächig kartieren. Diese Methoden geben also wertvolle Einblicke in die Verteilung der verwendeten Farben und Bindemittel auf der gesamten Bildfläche.
Bei der Infrarotspektroskopie (IR-Spektroskopie) wird das Material mit Infrarotstrahlung bestrahlt. Bestimmte Molekülgruppen beginnen dabei, charakteristisch zu schwingen. Diese Schwingungen werden als Spektrum aufgezeichnet und dienen als „chemischer Fingerabdruck“, mit dem sich Materialien eindeutig identifizieren lassen. Der Vergleich mit Referenzspektren bekannter Substanzen ermöglicht die Zuordnung unbekannter Materialien.

Solche Vergleichsspektren findet man in Referenz-Datenbanken. Die Auswertung der Messungen und der Vergleich mit Referenzspektren ist aufwändig
Foto: Elia Schmid
Die Methode erlaubt die Identifizierung von anorganischen und organischen Verbindungen. Die Infrarotspektroskopie kann sowohl an entnommenen Proben als auch berührungsfrei direkt auf der Oberfläche eines Kunstwerks angewendet werden (Reflexions-IR).
Die Raman-Spektroskopie basiert auf der Wechselwirkung von Lasern (monochromatischem Licht) mit Materie. Trifft Laserlicht auf ein Material, wird ein kleiner Teil der Strahlung in charakteristischer Weise gestreut. Das dabei entstehende Raman-Spektrum liefert Informationen über die molekulare Struktur des Materials. Die Methode eignet sich besonders gut zum Nachweis sowohl anorganischer als auch organischer Substanzen, darunter Pigmente, Farbstoffe und Bindemittel. Wie die Infrarotspektroskopie kann auch die Raman-Spektroskopie berührungsfrei durchgeführt werden.
Die Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) arbeitet mit energiereichen Röntgenstrahlen, die beim Auftreffen auf ein Material Elektronen aus den inneren Schalen der Atome herausschlagen. Beim Zurückspringen anderer Elektronen entsteht eine charakteristische Fluoreszenzstrahlung, die für jedes chemische Element einzigartig ist. Auf diese Weise lassen sich insbesondere anorganische Pigmente und Füllstoffe identifizieren.
Wird die Messung nicht nur punktuell, sondern flächig durchgeführt, spricht man von Makro-Röntgenfluoreszenzanalyse (MA-XRF). Dabei werden viele Einzelmessungen zu einem Gesamtbild (Mapping) zusammengesetzt, das zeigt, wo bestimmte Elemente und damit Materialien auf der Oberfläche vorkommen.
Die Hyperspektrale Bildgebung (engl. Hyperspectral Imaging, HSI) nutzt spezielle Kameras, die für jeden einzelnen Bildpunkt (Pixel) ein Reflexionsspektrum über einen breiten Wellenlängenbereich aufzeichnen. Die beiden Sensoren des insiTUMlab-Systems decken dabei einen Bereich von 400 bis 2500 nm ab. Diese Daten können genutzt werden, um Materialien zu unterscheiden und ihre Verteilung sichtbar zu machen (Mapping).

Mithilfe von zwei Kameras, die zusammen einen sehr breiten Wellenlängenbereich des elektromagnetischen Spektrums erfassen, untersucht Simon Mindermann Fragmente von Willi Baumeister.
Foto: Elia Schmid
Während HSI im Bereich des sichtbaren und nahen Infrarots (VNIR, 400–1000 nm) bereits erfolgreich zur Identifizierung von Pigmenten und Farbstoffen eingesetzt wird, ist die Untersuchung von Bindemitteln im kurzwelligen Infrarotbereich (SWIR, 1000–2500 nm) zwar möglich, jedoch bislang nur in wenigen Kulturerbe-Studien erprobt.
Im Rahmen ihrer Masterarbeit untersuchte Katja Lorenz, inwiefern HSI zur Unterscheidung und Identifizierung typischer Bindemittel auf den Gemälden von Willi Baumeister geeignet ist, und analysierte die Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode für die Kunsttechnologie.
(Ergebnisse von Katja Lorenz)

Die von den Kameras gesammelten Daten werden am Computer visualisiert und ausgewertet.
Foto: Katja Lorenz
Die zerstörungsfreien Analysemethoden haben den großen Vorteil, dass sie einen ersten, umfassenden Überblick über die Verteilung der Materialien auf der Bildfläche ermöglichen, ohne dass dafür Proben entnommen werden müssen.
Sie zeigen jedoch vor allem die Materialverteilung an der Oberfläche. Im Normalfall liegen an einer Messstelle aber mehrere Schichten mit unterschiedlichen Materialien übereinander. Wenn die Strahlung in diese tieferen Schichten eindringt, können sich die Signale der verschiedenen Schichten überlagern. Dann ist nicht klar, in welcher Schicht sich welches Material tatsächlich befindet.
Mit Hilfe der zerstörungsfreien Analysemethoden ist eine erste Klassifizierung der vorhandenen Materialien in Materialgruppen wie beispielsweise Proteine möglich. Eine genauere Identifikation – also um welches Öl, Harz oder Protein es sich genau handelt – erfordert aber in der Regel weitere, laborbasierte und mikro-invasive Analysen. Außerdem können vor allem die Hauptbestandteile in einer Schicht nachgewiesen werden. Nebenbestandteile, die in geringerer Menge vorkommen, können leicht übersehen werden oder sind manchmal auch nicht nachweisbar, weil sie unterhalb der Nachweisgrenze liegen können.
Es bleiben also jeweils noch einige Fragen zum Schichtaufbau und zur genauen Materialzusammensetzung offen, die mit weiteren, mikro-invasiven Analysemethoden geklärt werden müssen. Die zerstörungsfreien Messungen liefern aber einen ersten, sehr wichtigen Überblick über die Materialität der Werke und ermöglichen auf diese Weise eine gezielte Auswahl geeigneter Probenentnahmestellen für weitere Untersuchungen. Im Labor können diese Proben anschließend mit hochauflösenden Verfahren detailliert untersucht werden.
Die Entnahme von Materialproben gehört zwar zu unserem Forschungsprozess und dient dem Erkenntnisgewinn, aber an originalen Gemälden fällt die Entscheidung trotzdem oft schwer, denn sie ist immer mit einer – wenn auch sehr kleinen – Zerstörung des Originals verbunden.
Da ist es gut für uns, dass Baumeister viele Gemälde zwar verworfen, aber nicht zerstört hat. An diesen verworfenen Gemälden können wir viel über die Materialität seiner Kunstwerke lernen, ohne die Originale selbst beproben zu müssen.
Bei der Probenentnahme unterscheiden wir zwei Arten von Proben: Pulverproben, die durch Abschaben mit einem feinen Skalpell entnommen werden, und Proben des gesamten Schichtenpakets, die anschließend in einen aushärtenden Kunststoff eingebettet werden, und die damit einen Querschnitt durch alle Schichten des Gemäldes abbilden (sog. Querschliffe). Die Orte der Probenentnahme an den Gemälden werden ganz genau ausgemessen und fotografisch dokumentiert. Die notwendige Probenmenge orientiert sich an der sogenannten Nachweisgrenze der anschließenden Analyse-Techniken: Jede Technik braucht eine Mindestmenge an Material, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen. Die verwendeten Techniken sind sehr sensitiv, d.h. wir brauchen nur ganz kleine Mengen an Proben. In den beiden Mikroskopaufnahmen kann man gut erkennen, wie klein die Probenentnahmestellen sind.

Mikroskopaufnahme vor der Probenentnahme.
Foto: Ulrike Palm

Mikroskopaufnahme nach der Probenentnahme.
Foto: Ulrike Palm
Probenentnahmestelle in der schwarzen Malschicht des verworfenen Gemäldes V_005. Oben: vor der Entnahme, unten: nach der Probenentnahme. Der weiße Rahmen markiert die Stelle der Schabeprobe, die weniger als einen halben Millimeter im Quadrat misst. Sie ist mit dem bloßen Auge kaum erkennbar.
Ein besonderer Fokus des Projektes liegt auf der genauen Identifikation der Bindemittel, die Baumeister in seinen Gemälden verwendet hat. Für die Bestimmung der Bindemittel werden die Pulverproben mittels Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie (Pyrolyse GC/MS) untersucht. Die dafür entnommenen Proben sind so klein, dass man sie nur unter dem Mikroskop erkennen und für die folgenden Analysen vorbereiten kann.

Die Proben kommen zwischen zwei Glas-Objektträgern im Labor an.
Foto: Elia Schmid

Die Proben werden vor der Analyse unter dem Mikroskop kontrolliert.
Foto: Elia Schmid
Für die Bestimmung der Bindemittel werden die Pulverproben mittels Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie (Pyrolyse GC/MS) untersucht.
Bei dieser Analysetechnik wird die Probe zunächst erhitzt, um sie zu zersetzen und in flüchtige Abbauprodukte zu überführen (Pyrolyse). Die einzelnen Bestandteile werden dann mithilfe der Gaschromatographie (GC) aufgetrennt und anschließend mit einem Massenspektrometer (MS) identifiziert.

Foto: Elia Schmid
Nur wenige Labore in Deutschland sind auf die Analyse von gealterten Gemäldeproben mithilfe von GC-MS spezialisiert. Hierfür braucht es jahrelange Erfahrung und viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den winzigen Proben.

Foto: Elia Schmid
Die Proben werden unter dem Mikroskop zunächst in wenige Millimeter große Probenbehälter aus Metall gefüllt. Mit einer Feinwaage wird überprüft, ob bei der Entnahme die minimal notwendige Probenmenge für die Analyse erreicht wurde.

Foto: Elia Schmid
Dann werden sie in die Probenkammern des Gaschromatographen eingesetzt.

Die Interpretation der Ergebnisse und der Vergleich mit Referenzmaterialien ist auch bei dieser Analysemethode sehr zeitaufwändig.
Foto: Elia Schmid
Nach Abschluss der Analyse erhält man ein Chromatogramm, das man mit Referenzspektren bekannter Materialien vergleichen kann. Die einzelnen Peaks sind charakteristisch für unterschiedliche Stoffe. Auf diese Weise kann man die einzelnen Stoffe in der Probe bestimmen. Für eine gute Interpretation braucht man viel Erfahrung und eine sehr gute Referenzdatenbank, in der auch gealterte Proben erfasst sind.
Die besondere Herausforderung in unserem Forschungsbereich ist, dass wir es dabei mit gealterten Materialien zu tun haben: Referenzspektren frischer Proben sind nicht unbedingt vergleichbar. Alternativ kann man auch selbst gealterte Proben mit bekannter Zusammensetzung messen. Solche findet man beispielsweise in historischen Materialsammlungen.

Chromatogramm einer Probe von Willi Baumeister
© Doerner Institut und Deutsches Museum, München.
In dem Chromatogramm einer Probe von Willi Baumeister wurden die einzelnen Peaks bei der Auswertung unterschiedlichen Stoffen zugeordnet: Ein synthetisches Harz (Cyclohexanon) ist ebenso enthalten wie mehrere Fettsäuren (FC16, FC18) aus Ölen und viele verschiedene, historische Weichmacher (Phthalsäureanhydrid, DEP, DIBP, DBP, BBP, DEHP).
Auch an den Querschliffen werden weitere Untersuchungen durchgeführt: Zum einen kann man sie unter dem Lichtmikroskop sowohl im sichtbaren Licht als auch unter UV-Bestrahlung untersuchen und so verschiedene Schichten – sowohl durchsichtige als auch pigmentierte – sichtbar machen. Auf diese Weise können die stereomikroskopischen Beobachtungen des Schichtenaufbaus oftmals noch einmal präzisiert und ergänzt werden.
In dieser Probe aus einer roten Farbschicht eines verworfenen Gemäldes kann man unter dem Lichtmikroskop den Schichtenaufbau erkennen: auf einer hellen Schicht – der Grundierung – liegt hier eine rote Farbschicht. Unter UV-Bestrahlung wird auf der roten Farbschicht noch eine weitere, sehr dünne, hellblau fluoreszierende Schicht auf der Oberfläche sichtbar, die im sichtbaren Licht unsichtbar war.
Der Maßstab verdeutlicht auch noch einmal, wie klein die Probe ist: 100 Mikrometer entsprechen 0,1 mm.

Ein Querschliff aus einem verworfenen Gemälde bei Betrachtung im sichtbaren Licht unter dem Lichtmikroskop.
Foto: Stephanie Dietz

Derselbe Querschliff unter dem Lichtmikroskop unter UV-Bestrahlung.
Foto: Stephanie Dietz
An den Querschliffen lassen sich mithilfe weiterer Analysemethoden sowohl die Farbmittel (Pigmente, Farbstoffe) als auch die Bindemittel in den einzelnen Schichten bestimmen. Für die Bestimmung der anorganischen Farbmittel verwendet man Rasterelektronenmikroskopie mit Energiedispersiver Röntgenspektroskopie (REM-EDX), für die der organischen Farbmittel ein RAMAN-Spektrometer. Die Verteilung der Bindemittel im Schichtengefüge lässt sich mithilfe der Fourier-Transform-Infrarotspektroskopie mit Focal Plane Array Detektor (FPA FT-IR Imaging) untersuchen.
Jede der hier beschriebenen, berührungsfreien und mikro-invasiven Techniken hat ihre eigenen Stärken und Schwächen. Erst in der Kombination ergeben sie ein möglichst vollständiges Bild der tatsächlichen Materialität eines Werkes. Ziel ist es, durch ihre kluge Kombination genaue und umfangreiche Informationen zu bekommen, und dabei aber gleichzeitig möglichst wenige und kleine Proben zu entnehmen.
Auf diese Weise lernen wir Schritt für Schritt mehr über die Materialien, die Baumeister zwischen 1930 und 1955 verwendet hat: Das Bild vervollständigt sich. Die Untersuchungen der Gemälde sind dabei wichtige Puzzlestücke, ebenso wie die Angaben in Briefen oder Rechnungen für Malmaterialien. Am Ende müssen alle Ergebnisse im Vergleich zusammengeführt und im Forschungsteam diskutiert werden.
Oft stellt sich dann aber die Frage, aus welchen Produkten die Materialien genau stammen, die in den Gemälden analytisch nachgewiesen werden: Waren bestimmte Stoffe wie synthetische Harze Bestandteil von Künstlerfarben oder von industriellen Lacken, die Kurt Herberts zur Verfügung gestellt hat? Um dies zu klären, liefern vergleichende Untersuchungen von historischen Tubenfarben, Firnisflaschen o.ä. aus dem Künstlernachlass wichtige Anhaltspunkte. Auch Quellenrecherchen in Archiven von Künstlerfarbenherstellern können Aufschluss über die Zusammensetzung einzelner Produkte geben, die Baumeister kaufte. Dies ist Inhalt der Masterarbeit von Saskia Link (Ergebnisse).
Um zu beurteilen, ob Baumeisters maltechnische Experimente außergewöhnlich waren oder eine zeittypische Erscheinung, die auch andere deutsche Künstler in der Zeit betraf, müssen noch weitere Quellen ausgewertet werden. Dazu gehört neben der aktuellen Fachliteratur auch die zeitgenössische maltechnische Ratgeberliteratur, wie die einflussreichen und vielgelesenen Bücher von Max Doerner oder Kurt Wehlte, oder historische maltechnische Fachzeitschriften.
Am Ende sind viele Fragen geklärt – und gleichzeitig ergeben sich stets viele neue Fragen, denen man weiter nachgehen kann.